Hundertprozentige Lösungen sind eine schlimme Plage

Suchen Sie eine hundertprozentige Lösung? Dann wird der Weg Ihr Ziel bleiben.

Wann lernen wir endlich, dass Hundertprozent-Lösungen reine Zeitverschwendung sind? Zumindest in aller Regel.

Die Erwartungshaltung sollte sich an der Realität und nicht am theoretisch Möglichen ausrichten. Wir wissen doch alle, dass es Probleme gibt, die sich theoretisch lächerlich einfach darstellen, praktisch aber nicht lösbar sind, wenn man verhältnismäßige Kosten und/oder verfügbare Zeit nicht aus der Gleichung weglässt.

Da gibt es ein paar schöne Beispiele:

  • Schach. Theoretisch kann ein Computer durch schlichtes Durchprobieren aller Varianten (des kompletten Spielbaumes) immer gewinnen, zwei Computer werden immer unentschieden spielen. In der Praxis würde der schnellste Computer der Welt nie alle Varianten durchrechnen können.
  • Korrektheit einer Software. Theoretisch testet man einfach alle Systemzustände, Eingabe/Ausgabe-Kombinationen und Variablenwerte durch. Dann hat man die Sicherheit, dass die Software den Anforderungen entspricht. In der Praxis würde ein kompletter Test mittelgroßer Software Jahre dauern.
  • Das Wasserfallmodell in der Softwareentwicklung. Theoretisch ist nichts schöner als das Extrem-Wasserfallmodell. Zuerst hat man alle Anforderungen vollständig aufgeschrieben. Dann hat man auf dieser hundertprozentig korrekten Grundlage ein vollständiges Design entworfen. Dann hat man alles getestet. Dann ausgeliefert. Perfekt! In der Praxis ist das Extrem-Wasserfallmodell ein sicheres Rezept für ein gescheitertes Softwareprojekt.

Sogar bei scheinbar trivialen Aktivitäten ist eine hundertprozentige Korrektheit wenig Erfolg versprechend. Nehmen wir zum Beispiel die E-Mail-Flut. Ein Versuch, eingehende E-Mails zu klassifizieren und in speziell dafür vorgesehene, sinnvolle Ordner zu verschieben, ist theoretisch eine tolle Idee. Man weiß immer, wo man etwas suchen soll: Man öffnet einfach den Ordner „Anforderungen für Projekt X“ und hat alle betreffenden E-Mails parat. Toll! Und sinnlos. Weder manuelles Verschieben noch geschickt angelegte Regeln werden garantieren, dass alle E-Mails in die richtigen Ordner einsortiert werden. Schlimmer noch: Wenn eine E-Mail zwei Themen betrifft, was dann?

Nein, die realistische (und vermutlich beste) Lösung ist eine mächtige Suchfunktion für die Mailbox, die ähnlich wie Google Mail sämtliche E-Mails nach den entsprechenden Begriffen absucht und das Ergebnis in Sekundenbruchteilen liefert.

„The perfect is the enemy of the good“, so ein englisches Sprichwort. Da ist wirklich was dran.

Der Nachteil dieses Ansatzes liegt auf der Hand. In einer Achtzigprozent-Lösung findet sich immer ein Fehler.  In einem Umfeld, in dem man sich gegenseitig zu beweisen versucht, dass der Andere Unrecht hat, sind Hundertprozent-Lösungen angesagt. Wer es toll findet, dass der Weg das Ziel sein soll, der wird sich hier heimisch fühlen. In einem solchen Umfeld wird der Weg nämlich immer das Ziel bleiben, im denkbar schlimmsten Sinne dieses beliebten Spruchs.

Dass sich das auf kurz oder lang katastrophal auswirkt, dürfte nun klar sein. Hundertprozent-Lösungen sind eine schlimme Plage, die gründlich ausgerottet gehört. Es sei denn, Geld und Zeit spielen keine Rolle. Wer solche Projekte kennt, der soll mir bitte verraten, wo man sie findet. Dort werde ich auch sehr gern Hundertprozent-Lösungen predigen.

Roman Mildner
Über Roman Mildner 79 Artikel
Ich bin zertifizierter Projektmanager (PMP), Managementberater und Buchautor. Seit 1992 bin ich in der IT-Branche und seit 1998 als Managementberater tätig. Zu meinen Arbeitsschwerpunkten gehören Technologiestrategie und Prozessverbesserung, insbesondere im Bereich von Automotive SPICE. Weitere Details finden Sie hier.

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