Manager vs. Entwickler – ein vermeidbarer Dauerkonflikt

Entwickler halten ihre Manager oft für ahnungslose Dummschwätzer. Im Gegenzug sehen viele Manager in ihren Entwicklern „faule Künstler“ und übersensible Divas. Das kann so nicht weitergehen.

In meinen Projekten erlebe ich immer wieder eine riesige Kluft, die ziemlich genau zwischen der Entwicklungsabteilung und der Managementetage klafft. Es entsteht manchmal der Eindruck, als wollten sich Entwickler und Manager nur unter Sachzwang begegnen: in Statusmeetings, in den dann noch gern aneinander vorbeigeredet wird. Dieses Phänomen ist nicht auf das Linienmanagement beschränkt – auch Projektmanager werden von ihren Softwareentwicklern häufig zum „feindlichen Lager“ gezählt.

Bereits bei einfachen Problemstellungen des alltäglichen Berufslebens zeigen sich Manager ratlos, wenn ihnen ihre „Techies“ Präsentationen zeigen, die eher an (mitunter schlechten) C++-Programmierstil als an Managementfolien erinnern. Entwickler wundern sich dann gerne, was an einer technisch detaillierten, aus ihrer Sicht trivialen Vorlage unklar sein soll. Der Unterschied wird noch klarer,  wenn man einen herausragenden Softwareentwickler ins Management befördert. Schnell brennt dann der bisherige Top-Performer aus, wenn er grundlegende Spielregeln nicht beherrscht, wie Delegation, Führung und Kontrolle.

Worin liegt nun eigentlich die Grundursache dieses unsäglichen Misstrauens, dieser täglich aufs Neue entstehenden Missverständnisse, durch die Projektkosten explodieren, Meilensteine reihenweise kippen und verzweifelte Projektmitarbeiter in Scharen innerlich kündigen?

Management und Software sind affine Themengebiete

Meines Erachtens besteht das Problem nicht darin, dass Technik abstrakter wäre als Management – oder umgekehrt, je nach Perspektive. Was der jeweiligen Person trivial erscheint, entpuppt sich im Detail oft als hoch anspruchsvoll. Eine komplexe Softwarelösung wird zwar in der Regel Zeile für Zeile entwickelt, jedoch stellt das übergreifende Design eine extrem anspruchsvolle Tätigkeit dar. Auf der anderen Seite mag ein simples Mitarbeitergespräch als läppische Herausforderung erscheinen, und doch ist die Aufgabe, die soziale Dynamik im Detail und im Ganzen zu überblicken und zu kontrollieren, strategische Unternehmensziele mit dem Tagesgeschäft abzustimmen etc., sehr komplex.

Es liegt auch nicht daran, dass Management weniger wissenschaftlich wäre als die Softwaretechnik. Beide Seiten haben das Problem, keine streng naturwissenschaftlichen Disziplinen auszuüben. Allgemeingültige Lösungen sind daher in beiden Fällen rar. Die Anzahl der Publikationen spiegelt den Umstand wieder. Gibt man bei Amazon den Begriff „Management“ ein, findet man knapp 70.000 Bücher. Interessanterweise bringt es der Begriff „Software“ ebenfalls auf 70.000 Treffer. Wenn Management eine triviale Disziplin wäre, dann wären die meisten dieser Bücher überflüssig. Gleiches gilt selbstverständlich für das riesige Themengebiet Software und Softwareentwicklung. Eine Verknüpfung dieser beiden Themen, wie sie in Softwareprojekten stattfindet, muss unweigerlich eine enorme Komplexität ergeben.

Ein Problem der Kommunikation

Es liegt kein inhaltliches, sondern vielmehr ein soziales, kommunikatives Problem vor. Wegen der diffusen Ähnlichkeiten, die Management und Softwaretechnik verbinden, ist die Anspruchslage der Vertreter der jeweiligen Zunft ähnlich stark ausgeprägt und ähnlich schwach objektiv fundierbar. Ob Management-by-Objectives andere Managementtechniken aussticht, ist ebenso schwer zu beweisen wie der Vorteil Use-Case-getriebener Softwareentwicklung gegenüber der traditionellen, funktionalen Dekomposition. Gleichzeitig liegt es an der natürlichen Teamdynamik, dass einzelne Teammitglieder Führungsanspruch erheben, und zwar unabhängig von ihren fachlichen (Management vs. Softwaretechnik) Präferenzen. Da Manager jedoch in der Regel organisatorisch das letzte Wort haben, führen Streitereien über prinzipiell einfache Problemstellungen letztendlich zu suboptimalen, frustrierenden Entscheidungen.

Derartige Konflikte und ihre Folgen können wir uns nicht mehr leisten. Der wachsende, demographisch bedingte Fachkräftemangel in der Softwareindustrie sollte alle Beteiligten dazu bewegen, endlich die Grabenkämpfe einzustellen und ernsthaft darüber nachzudenken, wie eine kooperativere, zielgerichtete Zusammenarbeit effektiv gefördert werden kann. Auch können wir uns angesichts des wachsenden globalen Konkurrenzdrucks nicht mehr erlauben, 60-70 Prozent unserer Softwareprojekte scheitern zu lassen. Das Problem kann nicht in einer Atmosphäre aus Misstrauen und Frustration erfolgreich angepackt werden.

Es mag banal anmuten, aber es ist an der Zeit, dass wir alle anfangen, ehrlich und offen miteinander zu reden. Wir brauchen mehr Professionalität im Umgang mit fachfremden Kollegen und Kolleginnen. Oft fällt es den Managern schwer einzugestehen, dass ein Entwickler bei operativen oder gar strategischen Themen auch einmal richtig liegt. Umgekehrt ist ein technisch versierter Manager den Entwicklern grundsätzlich suspekt, weshalb seine Technik-bezogenen Einwände auf der „Entwickleretage“ kaum Beachtung finden. Es gibt jedoch keinen objektiven Grund für derartige Vorurteile. Ich kenne selbst Softwareexperten, die hervorragende Projektmanager wurden, und Projektmanager, die ihre technischen Kenntnisse so weit vertieft haben, dass sie über technische Details fundiert diskutieren und bei Bedarf auch Code-Reviews durchführen können.

In den vergangenen Jahren führten anschwellende Konflikte zwischen den IT-Abteilungen und ihren internen Kunden immer wieder dazu, dass man die IT als nicht dem Kerngeschäft zugehörig einstufte und ganze Bereiche an Fremdanbieter auslagerte. Dass Offshoring noch häufiger scheitert als interne Entwicklungsprojekte, ist aber kein Zufall. Wenn Manager ihre internen Entwickler nicht respektieren, werden ausländische Experten noch weniger Gehör finden. Man kann solche Probleme nicht durch ihre Auslagerung lösen. Offshoring mag in bestimmten Konstellationen sinnvoll sein, es trägt aber kaum dazu bei, dass Geschäftsanforderungen besser in Softwarefeatures übersetzt werden.

Auch die mancherorts herrschende Vorstellung, dass „richtige“ Prozesse und ein hoher Reifegrad die Kluft zwischen Business und IT schließen könnten, ist eine Illusion. Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit lässt sich nicht durch ein ausgeklügeltes, durchdachtes, wohlbeschriebenes und gut durchorganisiertes Managementsystem ersetzen. Im Gegenteil – wenn das gegenseitige Verständnis das Grundübel ist und bleibt, verschlimmert man die Situation nur noch weiter. Denn zu den Managern und Entwicklern kommen dann noch die Prozessexperten  (die oft unter dem Sammelbegriff „QA“ agieren) als geschlossene Interessengruppe hinzu. Der „auf dem Papier“ erreichte, hohe Reifegrad entpuppt sich in einem solchen Umfeld schnell als Papiertiger.

Maßnahmen ergreifen

Es bringt aber auch nichts einfach zu warten, bis sich das Problem von alleine erledigt. Eine dynamische, flexible und effektive Koexistenz von IT und Business muss aktiv auf beiden Seiten gefördert werden.  Dazu folgende Empfehlungen:

Überprüfen Sie die Karrierepfade in Ihrem Unternehmen

Es geht nicht an, dass Entwickler zu Managern gemacht werden müssen, damit sie für ihre Leistung besser entlohnt werden. Manche Techniker wollen das gar nicht, sie sind ja nicht ohne Grund Techniker und nicht Manager vom Fach. Daher muss eine Expertenkarriere (etwa vom Junior-Entwickler bis zum Senior-Architekten) möglich sein und mit substanziellen Einkommensverbesserungen einhergehen.

Bilden Sie Entwickler zu IT-Managern aus

Wenn ein IT-Mitarbeiter ins Management wechseln soll, darf der damit verbundene Fortbildungsaufwand nicht unterschätzt werden. Folgende Sequenz von Aktivitäten erscheint sinnvoll:

  1. Aufklären, was Management bedeutet. Dass die Arbeit als Manager sich nicht in entspannten Meetings und einem besseren Einkommen erschöpft, wird nicht immer im Vorfeld erkannt. Wenn frisch gebackene Manager dies erst später erkennen, ist Frustration vorprogrammiert. Angehende Manager müssen sich darüber im Klaren sein, dass sie künftig – im Unterschied zu ihrer bisherigen Tätigkeit im technischen Bereich – interessante, technische Tätigkeiten vollständig delegieren, auch mal unpopuläre Maßnahmen durchsetzen, langfristige Planung betreiben, geschickt auftreten und generell mit der sogenannten „Politik“ vorlieb nehmen müssen.
  2. Management-Skills schulen. Wenn klar ist, was der neue Job als Manager bedeutet, wird auch offensichtlich, dass dabei Fähigkeiten benötigt werden, die bisher nicht vonnöten waren. Es mag Naturtalente geben, die keine besondere Vorbereitung  benötigen, doch die überwiegende Mehrheit der angehenden Manager muss geschult werden. Rhetorik, Mitarbeiterführung, Managementbegriffe und -werkzeuge – das sind Kompetenzen, die gelernt werden wollen.
  3. Coachen. Erst in der Praxis stellt sich heraus, wie gut das Gelernte in der Realität funktioniert. Im Alltag müssen komplexe Entscheidungen getroffen, Krisen bewältigt, Konfliktsituationen gemeistert sowie Netzwerke aufgebaut und gepflegt werden. Es wäre nicht fair, frisch gebackene Manager in solchen Situationen alleinzulassen. Professionelles Coaching und Mentoring ist dringend geboten.
  4. Rückkehr in die Technik ermöglichen. Auch die beste Vorbereitung und ein intensives Coaching können im Einzelfall nicht verhindern, dass ein Management-Einsteiger nach einiger Zeit zu der Überzeugung kommt, dass dieser Job nicht der richtige für ihn ist. Daher sollte die Unternehmenskultur optimalerweise einen Umstieg zurück in die Technikwelt ohne erhebliche Nachteile für die betroffenen Mitarbeiter ermöglichen. Die bereits erwähnte fachliche Aufstiegsoption (Entwickler-Designer-Architekt etc.) sollte daher unbedingt vorhanden sein.

Bilden Sie Manager zu IT-Managern aus

Die Regel „Egal was, ich kann’s managen“ gilt gerade in einem IT-geprägten Umfeld zumeist nicht uneingeschränkt. Es mag stimmen, dass zum Beispiel ein Bauprojekt in vielerlei Hinsicht einem IT-Projekt ähnelt, insbesondere was Projektmanagement-Werkzeuge betrifft, jedoch gestaltet sich der Umgang mit IT-Leuten grundlegend anders. Manager, die aus anderen Unternehmensbereichen kommen, müssen lernen, wie ein IT-ler „tickt“, andernfalls sind Missverständnisse und harte Konflikte vorprogrammiert.

  1. Grundlagen lernen. „Was man nicht messen kann, kann man auch nicht managen“, sagte der Management-Guru Peter Drucker gerne. Heute würde er vielleicht hinzufügen: „Was man nicht versteht, kann man auch nicht managen“.  Es hilft nichts – Ihre Manager müssen mehr von IT verstehen. Sie müssen zum Beispiel wissen, was Softwaredesign und wie komplex Softwaresysteme sind, warum sich IT-Experten so oft verschätzen und welche Rolle die IT überhaupt im Geschäftsleben heutzutage spielt.
  2. Trends verstehen. Die moderne IT-Welt ist voller Hypes. EAI, SOA, OOP, MDA, CMMI, SPICE, ITIL – dies ist ein A.R.E. (Acronym-Rich Environment) par excellence. Diese Begriffe sind für den Manager häufig ebenso unverständlich und fremd wie zum Beispiel MBO, BSC, MBWO, SWOT und TQM für den Entwickler. Als Manager sollte man den IT-Wortschatz verstehen und außerdem begreifen, warum Entwickler für Hypes und Modeerscheinungen ähnlich anfällig sind wie Manager für Managementhypes. Das Muster ist ähnlich, die Inhalte jedoch sehr unterschiedlich. Man kann diese Themen nicht ignorieren, andernfalls werden riskante Technologie- und Verfahrensentscheidungen getroffen. Damit die Teamdynamik beherrschbar bleibt, muss ein vernünftiger Umgang mit IT-Hypes gelernt werden.
  3. Coachen. Der Manager-Frust über ihre unbeherrschbaren Projekte ist allgegenwärtig. Natürlich geraten IT-Projekte auch aus objektiven Gründen in Schwierigkeiten, wenn zum Beispiel die Finanzierung nicht gesichert ist oder der Kunde die Anforderungen gern und häufig nach Wetterlage ändert. Doch die meisten Projekte scheitern an Missverständnissen, die im Keim einfach zu lösen sind, jedoch im späteren Projektverlauf auf der persönlichen Ebene ausgetragen werden und sich somit zu fatalen Hemmnissen auswachsen. Ein systematisches Coaching ist erforderlich,  damit zunächst kleine Ungereimtheiten nicht bald zu großen Katastrophen werden. Ein guter Coach wird diese Probleme erkennen und rechtzeitig auf Lösungen hinweisen.

Fördern Sie eine integrative Verzahnung von Management und Technik

Moderne Technologie hat unsere Wirtschaft so gründlich durchdrungen, dass sie zunehmend mit dem eigentlichen Kerngeschäft verschmilzt. Immer mehr Unternehmen merken, dass sie sich von ihren Mitbewerbern durch eine bessere IT absetzen können. Ein geschickter Einsatz der Informationstechnologie steigert die Effizienz und erhöht die Schlagkraft eines Unternehmens. Entwickler und Manager sitzen im selben Boot.

Das bedeutet kein Management-durch-Friede-Freude-Eierkuchen. Es geht nicht darum, Konflikten aus dem Weg zu gehen – es geht vielmehr darum, sie konstruktiv auszutragen. Auch wenn alle vorhin genannten Maßnahmen ergriffen werden, wird es Missverständnisse und Streitereien geben, denn IT ist nun einmal eine ganz eigenartige Disziplin.

Trotzdem gibt es zur integrativen Vorgehensweise keine Alternative. Unternehmen, die das frühzeitig und konsequent erkennen, sichern sich entscheidende, strategische Wettbewerbsvorteile. Ist das Management nicht in der Lage, die IT integrativ zu führen, dann häufen sich infolgedessen operative und strategische Niederlagen. Um das zu verhindern, muss die Führung eine konstruktive Zusammenarbeit beider Interessengruppen – also der IT und des übrigen Unternehmens – aktiv unterstützen.

Roman Mildner
Über Roman Mildner 79 Artikel
Ich bin zertifizierter Projektmanager (PMP), Managementberater und Buchautor. Seit 1992 bin ich in der IT-Branche und seit 1998 als Managementberater tätig. Zu meinen Arbeitsschwerpunkten gehören Technologiestrategie und Prozessverbesserung, insbesondere im Bereich von Automotive SPICE. Weitere Details finden Sie hier.

1 Kommentar

  1. Lieber Roman,

    ein sehr guter Artikel, der den Nagel auf den Kopf trifft. Wie Du so schön schreibst, kann Coaching eine sehr große Hilfe sein und auch Weiterbildung in Seminaren zu Rhetorik, IT Strategiemodellen wie Portfoliomanagement, IT Controlling oder Trends/Hypes ist sehr wertvoll, um eine Managementposition als ehemaliger IT Spezialist schnell und umfassend füllen zu können. Dann kann dem schleichenden burn out durch falsche Rollenvorstellung vorgebeugt werden und die Position wird für das Unternehmen mit Mehrwert besetzt.

    Beste Grüße

    Volker

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