Der TCC

TCC – der Team Capability Coach – ist eine Projektrolle im Qualitätsmanagement, die darauf abzielt, die Effektivität der Prozessqualitätssicherung zu maximieren. Ein TCC ist ein Ansatz, der die qualitätssicherungsbezogenen Rollen eines „Qualitätsmanagers“ und wesentliche Elemente eines „Scrum Masters“ in einem einzigen integrierten Konzept kombiniert und erweitert.

In streng regulierten Branchen – wie der Automobilindustrie, der Medizintechnik und der Luftfahrt – ist eine starke, prozessorientierte Denkweise nicht nur eine Empfehlung, sondern eine unabdingbare Notwendigkeit. Sich auf den guten Willen und die Erfahrung Einzelner zu verlassen, kann schlimme Folgen haben und im Extremfall zu Geschäftsverlusten und hohen Geldstrafen führen. Ein typischer deutscher Automobilhersteller akzeptiert beispielsweise keinen Zulieferer, der nicht mindestens auf Stufe 2 des VDA-Scope (früher HIS-Scope genannt) vollständig mit Automotive SPICE konform ist.

Zugleich jedoch wird der neue, agile ansatzt zunehmend populär. Dieser Strömung im Projektmanagement, wie er im „Agilen Manifest“ beschrieben wird, stellt den Entwicklungsoutput gegenüber der formalen Dokumentation in den Vordergrund und hat sich für Branchen, die sich einen solchen Ansatz leisten können, bewährt. Agilität allein ist leider offensichtlich unzureichend, wenn es um sicherheitsrelevante Branchen wie die SPICE-konforme Entwicklung in der Automobilindustrie geht.

Die Wahrheit ist, dass die Automobilhersteller beides verlangen: Agilität und den Nachweis der Einhaltung von Normen. Wenn zum Beispiel die Forderung nach einer formalen Dokumentation dem Geist der Agilität zu widersprechen scheint, dann nur, weil es tatsächlich ein offensichtlicher Widerspruch ist. Egal wie oft einige Prozessberater darauf bestehen, dass ein Mangel an Dokumentation nicht zu den agilen Prinzipien gehört, die agile Bewegung würde nicht existieren, wenn dieser Widerspruch nicht so eklatant wäre.

Wie kann ein Team, das „agil“ sein muss, aber dennoch vollständig Automotive SPICE-konform auf Level 2 (oder sogar 3) sein soll, dieses Dilemma lösen?

Traditionelle Rollen

Es gibt zwei organisatorische Rollen, die die Qualitätssicherung prägen:

  • QA-Manager
  • Scrum-Master

Ein „QA-Manager“ (oder QS – Qualitätssicherung) kann einen anderen Namen tragen (z. B. „Qualitätsmanager“, „Qualitätsingenieur“ usw.), aber die Aufgabe ist die gleiche: die Einhaltung von Prozessstandards, wie z. B. „Automotive SPICE“, sicherzustellen.

Der Begriff „Scrum Master“ ist nicht formal definiert, wird aber in allen Branchen in ähnlicher Weise verwendet. Der Scrum Master soll sicherstellen, dass die agilen Prinzipien eingehalten werden.

Zu den typischen Aufgaben eines QA Managers gehören:

  • Auditing nach Standard,
  • die Verwendung von Prozessen, Vorlagen und Checklisten zur Sicherstellung der Einhaltung und
  • die Erfassung und Behebung von Prozessabweichungen.

Zu den typischen Aufgaben eines Scrum Masters gehören u.a.:

  • das Management des Scrum-Prozesses,
  • die Unterstützung von Quellen und
    die Unterstützung anderer Aufgaben, wie z. B. die Sicherstellung der „Definition-of-Done“-Aspekte und die Lösung von Teamkonflikten.

Um den regulatorischen Anforderungen gerecht zu werden und gleichzeitig die schnelllebige, effektive Agilität der modernen Systementwicklung zu ermöglichen, ist eine umfassendere Projektrolle erforderlich. Diese neue Rolle würde zusätzlich zu dem, was „QA Manager“ und „Scrum Master“ ausmacht, weitere Fähigkeiten erfordern, wie

  • Fachwissen über relevante Prozessqualitätsstandards sowie Fachwissen über gängige agile Konzepte,
  • umfassende, praktische Erfahrung als Ingenieur und Projektleiter in relevanten Branchen sowie
  • Kommunikationsfähigkeit und Autorität auf Führungsebene.

Diese Fähigkeiten sind in einem schnelllebigen, komplexen, standardkonformen und modernen Produktentwicklungsumfeld erforderlich. Aktive Teamunterstützung inklusive Coaching sowie ein tiefes Verständnis für Aspekte der Prozessfähigkeit sind erfolgskritisch für projektorientierte, sicherheitsrelevante und qualitätsgetriebene Organisationen.

“Nomen est omen”

Der Rolle eines „QA Managers“ scheint ein zweifelhafter Ruf vorauszueilen. Manchmal hat die Institution des „QS-Managers“ einen negativen Beigeschmack. In extremen Fällen, die ich in meiner beruflichen Laufbahn erlebt habe, erwartet das Management einen gehorsamen Erbsenzähler. Was wir brauchen, ist nicht nur ein „QS-Manager“, der sich um eine meist formale oder sogar überflüssige und oft undankbare Aufgabe kümmert, nämlich den Entwicklern „auf die Finger zu klopfen“. Der Teufelskreis aus Kundenbeschwerden, Audits und formalen Assessments im Kampf gegen die Entwickler, die es scheinbar einfach nicht kapieren“, was die Notwendigkeit einer formalen Qualitätssicherung angeht, ist ein trauriges Missgeschick. Eine solche Vorgehensweise ist ineffektiv und ineffizient.

„Scrum Master“ erleiden gelegentlich ein ähnliches Schicksal. Die bloße Ernennung eines „Scrum Masters“ wird das Team nicht auf wundersame Weise „agil“ machen, aber einige Führungskräfte erwarten ernsthaft ein solches Ergebnis.

In Wahrheit geht es den Ingenieuren aber um Qualität, den Managern ebenfalls um Qualität und den Kunden natürlich auch nochmals um Qualität. Das tun sie alle. Die geheime Soße zur Lösung dieses gordischen Knotens ist ein integriertes Qualitätsrollenkonzept. Insbesondere werden wir die Regel nicht als „Manager“ (wie „QA Manager“ oder „Master“) bezeichnen, um Verwechslungen mit früheren Konzepten zu vermeiden.

Das zweitausend Jahre alte lateinische Sprichwort „Nomen est omen“, was so viel bedeutet wie „der Name ist ein Zeichen“, erinnert uns daran, dass Worte eine Rolle spielen und manchmal sorgfältig gewählt werden sollten. Daher erscheint es angemessen, einen neuen, einzigartigen Namen für die neue Rolle zu finden.

Wir haben die neue Projektrolle“Team Capability Coach“ (TCC) genannt.

Warum ein „Coach“?

Da es sich bei der Systementwicklung um ein Mannschaftsspiel handelt, scheint die Analogie zu einem Fußballspiel eine ausgezeichnete Wahl zu sein. Manche Fußballtrainer werden nicht dadurch berühmt, dass sie im Spiel Punkte erzielen, sondern dass sie den Spielern helfen. Gute Trainer werden sehr gut bezahlt, manchmal bis zu siebenstelligen Beträgen, und da es kein Einzelphänomen ist, einen „Star-Trainer“ zu haben, muss es eine Erklärung dafür geben.

Würden Sie als Führungskraft, die für die operativen und strategischen Ziele Ihrer Organisation verantwortlich ist, nicht eine Person hoch schätzen, die:

  • eine jahrelange Praxis aus erster Hand in Ihrer Branche vorweisen kann?
  • über Lebenserfahrung verfügt und Motivationstechniken beherrscht, gepaart mit überzeugendem Selbstvertrauen, der in der Lage ist, auf allen fachlichen Ebenen, vom Techniker bis zum Programmmanager, effektiv zu kommunizieren?
  • über die Führungsqualitäten verfügt, um das Team zu inspirieren, die Komplexität der Produktentwicklung trotz Ungewissheiten, technischer Risiken und manchmal unscharfer Kundenziele zu meistern?

Es ist offensichtlich, dass ein TCC mehr ist als ein „Meister“ oder ein „Manager“. Gefragt ist ein „Evangelist“, der gleichzeitig die Herausforderungen des Managements, der Technik und der Qualität versteht. Das ist es, worum es bei einem TCC als innovative Projektteamrolle geht.

TCC-Qualifikation und Verantwortlichkeiten

Der Team Capability Coach (TCC) erweitert sowohl das Konzept des „Scrum Master“ als auch das des herkömmlichen Prozessqualitätsmanagers. Zu den entscheidenden Fähigkeiten eines TCC, in diesem Beispiel mit Schwerpunkt auf der Automobilindustrie, gehören:

  • das Fachwissen über Prozessqualitätsstandards wie Automotive SPICE, ISO 9001, ISO/TS 16949, etc,
  • Fachkenntnisse in mehreren Prozessbereichen der Systementwicklung, wie Projektmanagement,
  • System- und Softwaredesign, Testen, Konfigurationsmanagement, Problemmanagement usw.,
  • Fachkenntnisse in dem betreffenden Geschäftsbereich (z. B. Pkw und Lkw),
  • gründliche Kenntnisse der agilen Grundsätze und Praktiken und
  • kompetente Soft Skills, einschließlich Verhandlungsgeschick, Motivationsfähigkeit und rhetorische Fähigkeiten.

Weitere Eigenschaften eines TCC sollten sein:

  • Belastbarkeit,
  • Seniorität,
  • Akzeptanz im Team,
  • Erfahrung im Umgang mit Industriegutachtern und spezialisierten Beratern,
  • die Fähigkeit, kontinuierlich zu lernen und das Wissen in relevanten Prozessbereichen zu erweitern, und
  • ein hoher EQ.

Zu den Aufgaben eines TCC gehören:

  • Unterstützung des Teams bei der Entwicklung eines geeigneten Prozessmodells,
  • Identifizierung und/oder Unterstützung bei der Auswahl geeigneter Entwicklungswerkzeuge,
  • Durchführung konventioneller QS-Aufgaben wie QS-Audits und -Assessments (auf der Grundlage von Normen, insbesondere Automotive SPICE),
  • Moderation der formellen Projektbesprechungen mit dem Projektsponsor,
  • Entwicklung, Umsetzung und Pflege eines umfassenden Qualitätssicherungsplans,
  • Unterstützung der Projektmitglieder bei der praktischen Umsetzung der Prozesslandschaft,
  • Teilnahme an technischen Peer-Reviews,
  • aktive Teilnahme an Projektstatus-Meetings,
  • Auffinden von Verbesserungspotenzialen und deren Umsetzung,
  • häufige „Lessons Learned“ zu ermöglichen,
  • Überwachung des Issue Management Systems,
  • Unterstützung und Moderation von Eskalationen,
  • Unterstützung externer Automotive SPICE-Assessments, sowie
    Schulung und praktisches Coaching von Prozessen-bezogenen Aufgaben.

Diese Liste ist nicht vollständig, aber sie spiegelt den Zweck der TCC-Rolle ziemlich genau wider. Erscheint sie umfangreich? Das mag so sein. Es ist eine große Herausforderung, sowohl prozessorientierte als auch agile Ansätze in einem integrierten Managementsystemkonzept vereinen zu können. Es gibt kein Patentrezept für diese Aufgabe und genau deshalb ist die TCC-Rolle so wichtig.

Der ideale TCC

Die TCC-Rolle mag wie eine Utopie klingen. In wirklich innovativen Branchen mit hohem Druck, Sicherheit und anspruchsvollen gesetzlichen Anforderungen ist sie jedoch genau das Richtige.

Der ideale TCC wäre der perfekte Partner für jede Führungskraft in einer systementwickelnden Organisation. Er hätte die Erfahrung einer jahrzehntelangen technischen Entwicklung, das Charisma von Steve Jobs, das Verhandlungsgeschick von Henry Kissinger, die Überzeugungskraft von John F. Kennedy, das Arbeitsethos von Steven King, die Kreativität von Johann Sebastian Bach und die Ausdauer von Thomas Edison. Solche Tugenden in einer Person zu vereinen, ist offensichtlich schwer zu finden. Den perfekten TCC gibt es vielleicht nicht, aber das Festhalten an diesem Ideal ist ein nützliches Ziel und ein Ansporn zur ständigen Selbstverbesserung.

Woran erkennt man, dass man das Zeug zu einem TCC hat?

Neben den genannten Talenten ist es entscheidend, dass der angehende TCC eine echte Leidenschaft für Technik und technisches Management als Teamleistung mitbringt. Mit anderen Worten: Wenn Sie ein Technologiemanager sind, der eine echte Leidenschaft für Technik hegt, qualitätsorientiert denkt und gerne mit Ingenieuren zusammenarbeitet, sollten Sie sich den Beruf (oder vielleicht besser: die Berufung) des TCC genauer ansehen.

Abschließende Gedanken

In einer Zeit, in der wir immer mehr von modernen Technologien abhängig werden – wie maschinelles Lernen, selbstfahrende Autos und künstliche Intelligenz – wird die Sicherstellung der Software- und Systemqualität unerlässlich. Die TCC-Rolle steht mit dieser Erkenntniss im Einklang.

Meine eigenen Erfahrungen als TCC haben mich gelehrt, wie schwierig, aber auch wie erfüllend diese Aufgabe sein kann. Jedes Mal, wenn ein Team Fortschritte macht und das Unternehmen die Vorteile sieht, fühlt sich das wie ein mächtiger Dopaminschub für alle Beteiligten an. Es hat mich auch gelehrt, dass hohe Erwartungen oft zu außergewöhnlichen Ergebnissen führen.

Wäre die Tätigkeit eines TCC eine leichte, wäre sie nicht der Rede wert, aber das Gegenteil ist der Fall. Es ist schon schwer, ein QA-Manager zu sein, und es ist sicherlich keine triviale Aufgabe, ein Scrum Master in einer streng regulierten Umgebung zu sein. Die Aufgabe des TCC bringt es jedoch auf eine ganz neue Ebene. Jedoch genau diese Herausforderung macht den Reiz dieser Rolle aus.

Tom Hanks wird der Ausspruch zugeschrieben: „Wenn es nicht schwer wäre, würde es jeder tun. Es sind eben die schwierigen Herausforderungen, die zur wahren Grüße führen“. Ein TCC muss seine Größe beweisen. Das ist aber den Preis wert.


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Roman Mildner
Über Roman Mildner 79 Artikel
Ich bin zertifizierter Projektmanager (PMP), Managementberater und Buchautor. Seit 1992 bin ich in der IT-Branche und seit 1998 als Managementberater tätig. Zu meinen Arbeitsschwerpunkten gehören Technologiestrategie und Prozessverbesserung, insbesondere im Bereich von Automotive SPICE. Weitere Details finden Sie hier.