Matrixorganisationen sind „State of the Art“. Sie liefern bei Restrukturierungen einen weitverbreiteten Ansatz und lassen sich aus der Unternehmenswelt kaum mehr wegdenken. Und sie bringen Ihre Firma um.
Was ist eine Matrixorganisation? Eine Matrixorganisation – kurz „Matrix“ – ist ein Organisationskonzept, bei dem sich verschiedene fachliche Bereiche systematisch die gleichen Ressourcen und Zuständigkeiten teilen.
Man könnte sich beispielsweise vorstellen, dass Produkt-, Technologie- und Managementbereiche eine multidimensionale Matrix bilden.
Das Konzept erscheint sinnvoll und vernünftig, und es bedient sich in seiner ursprünglichen Version einer zweidimensionalen Matrix, die bösen Gerüchten zufolge die maximal akzeptable Management-Abstraktion darstellt. Da jedoch die Komplexität der modernen Geschäftswelt immer weiter voranschreitet, genügen zwei Dimensionen nicht mehr, und der Trend geht zu multidimensionalen Matrixorganisationen.
Die Vorteile der Matrix scheinen auf der Hand zu liegen: gemeinsame Nutzung von Ressourcen und bessere Verteilung des Wissens in der Organisation. Doch die scheinbare Einfachheit der Lösung trügt. In den kleinen Matrix-Kästchen befinden sich nämlich keine abstrakten Kreuzchen, sondern Personen aus Fleisch und Blut, die in einem solchen Gebilde zwangsläufig an mehrere Chefs gleichzeitig berichten müssen. Daraus ergibt sich eine Vielzahl von Risiken und Nebenwirkungen. Zwei davon sind als besonders verhängnisvoll einzustufen: unscharfe Zuständigkeiten und Veränderungsresistenz.
1. Unscharfe Zuständigkeiten
Kann man zwei Göttern dienen? Organisatorischer Polytheismus funktioniert nicht. Betroffene Mitarbeiter werden sich immer nach dem Stärkeren richten, denn das ist für ihr berufliches Fortkommen stets die richtige Entscheidung. Die „stärkeren“ Matrix-Herrscher schreiben Jahresziele und Abteilungsregeln vor, die in den gemeinsamen Matrixzellen den „schwächeren“ Mitspielern das Wasser abgraben. Diese organisatorische Achillesferse ist weder theoretisch noch praktisch behebbar, denn es geht um persönliche Vorteile von Funktionsträgern, und diese sind psychologisch den – aus Not in Matrixorganisationen entstandenen – Appellen an das kollektive Bewusstsein am Ende immer überlegen. Sämtliche „Policies“, „Grundwerte“, „Strategien“, „Claims“ etc. kosten dabei nichts als Geld und bringen wenig Besserung. Auch die berüchtigten Tschaka-Tschaka-Reden und motivierende Teambildungsmaßnahmen helfen – wenn überhaupt – nur vorübergehend. Effektive Führung in einer Matrix gestaltet sich sehr schwierig, denn Führung (= Veränderung) und Matrix (= Veränderungsresistenz) verhalten sich zueinander wie natürliche Feinde.
2. Veränderungsresistenz
Matrixorganisationen sind ein Kind der 60er- und 70er-Jahre, als Mitarbeiter noch oft ihr ganzes Leben in derselben Firma arbeiteten und nach der Dauer ihrer Betriebszugehörigkeit befördert wurden. Das typische Unternehmen war eine ineffiziente Bürokratie, in der es vorrangig darum ging, den Status quo zu erhalten und ehrgeizige Einzelgänger im Zweifel in die Schranken zu weisen. In einer Matrixorganisation wird jeder von mindestens vier Augen kontrolliert – und bei Bedarf umgehend ausgebremst. Daher sind Matrixorganisationen sehr gut darin, repetitive Vorgänge risikoarm und langfristig nach dem gleichen Muster zu gestalten.
Matrixorganisationen sind moderne, Technologie-affine Projekte wesensfremd. Jedes Projekt mit dem Ziel, ein neues Produkt zu erstellen, bedeutet nämlich unweigerlich eine risikobehaftete Veränderung. Eine typische, risikoscheue, auf Beständigkeit ausgerichtete Matrixorganisation tut sich mit Projekten daher sehr schwer. SEHR schwer. SEHR, SEHR, SEHR schwer. Sie können es einfach nicht, basta. Warum? Weil sie es eben nicht WOLLEN.
Im Würgegriff der Matrix
Unklare Zuständigkeiten und Veränderungsresistenz korrelieren und verstärken sich mit der Zeit gegenseitig. Während eine Verwaltungsbürokratie diesen Zustand lange unbemerkt durchhalten kann, leidet eine Produktentwicklungsorganisation rasch unter der intrinsischen Unbeweglichkeit der Matrix-Struktur. Von der Chefetage aus gesehen ist die Welt scheinbar in Ordnung, doch in den einzelnen Projekten wächst die Verzweiflung, denn da geschieht Folgendes:
- Das Interesse der Projektmitarbeiter am Projekterfolg erreicht seinen Höhepunkt am Tag des Kick-offs. Tendenz danach: fallend.
- Wichtige (obwohl häufig ungeliebte) Projektaufgaben bleiben unerledigt und niemand kümmert sich darum. Folge: Das Projekt versinkt im Chaos.
- Für die Erreichung der Projektziele ist immer jemand anderes zuständig (je nachdem, wen man fragt). Folge: Es platzt ein Termin nach dem anderen, inklusive Kunden- und Zulieferer-Deadlines.
- Für die geplatzten Termine ist niemand verantwortlich. Niemand hat Schuld, wenn die Produktqualität nicht stimmt. Folge: Aus gerissenen Terminen und teils peinlichen Pannen wird nicht gelernt.
- Projektleiter, die für das Projektergebnis alle Verantwortung, aber über ihre Ressourcen keine Befugnis haben, suchen auf „kurzen Dienstwegen“ quer durch die ganze Organisation fieberhaft nach Verbündeten, die ihnen bei der Ressourcenbeschaffung helfen können. Es werden immer mehr Mitarbeiter ins Projekt gebracht. Diejenigen, die ihrer Aufgabe nicht gewachsen sind, können aber nicht aus dem Projekt entfernt werden und bleiben im Projektbudget. Folge: anhaltende Kostenexplosion.
- Wegen der Trägheit und des Zuständigkeitsvakuums werden „Task Forces“ gebildet, die in Nacht-und-Nebel-Aktionen lange liegen gebliebene Aufgaben nach dem Muster „quick and dirty“ erledigen. Folge: kurzfristige Lösungen, langfristige Probleme.
Pervers erscheint dabei die Erkenntnis, dass es auch mal gut gehen kann. Wenn mit Verspätung und Ach und Krach geliefert wird, ist die Erleichterung groß, und für einige wenige Projektmitarbeiter bringen Chaos-Projekte persönliche Vorteile. Am Ende werden nämlich die größten Helden der turbulentesten Task Forces in die Linie befördert, denn der „volle Einsatz“ muss ja belohnt werden. Die Folge davon ist natürlich, dass der dramatische Einzelfall dadurch zum Standardvorgehen in der Organisation gekürt und so auf Dauer zementiert wird.
Bei einem Nicht-so-happy-End dagegen wird der völlig ausgebrannte Projektleiter einfach für unfähig erklärt und gefeuert. Nun kann das Ganze beim nächsten Mal nach dem gleichen Muster von vorn losgehen.
Matrix muss nicht sein
Das war natürlich alles nie so gewollt. Kein Unternehmenslenker macht so etwas mit Absicht. Oftmals liegt es an seinem Umfeld: Mitarbeiter, die nichts anderes kennen, Berater, die einfach nach Machtverhältnissen beraten, Unkenntnis der Kehrseite einer Matrixorganisation.
Doch es geht auch anders – Matrix muss wirklich, WIRKLICH, nicht immer die beste Lösung sein. Es gibt tatsächlich Organisationen, die aus ihrer leidigen Vergangenheit gelernt haben und ihre gesamte Struktur um Projekte herum aufbauen. Die tragenden Rollen dieses Modells stellen Produkt- und Projektmanager dar.
Die Rolle eines Projektmanagers zeichnet sich dadurch aus, dass sie innerhalb des Projekts die absolute Macht besitzt. Ein Projektmanager trägt die volle (persönliche) Verantwortung für das Projektergebnis, er verfügt aber auch vollständig über seine Ressourcen. Projektmitarbeiter werden dem Projektmanager vollständig unterstellt. So kann er selbst entscheiden, wer die nötige Qualifikation benötigt, um bestimmte Projektaufgaben mit möglichst wenig Personal (also effizient) möglichst zielgerichtet (also effektiv) umzusetzen. Es gibt keine unklaren Verantwortlichkeiten mehr, kein Zögern, kein fahrlässiges Liegenlassen wichtiger Projektaufgaben und – hoffentlich – auch keine Task Force im späteren Projektverlauf.
Natürlich stellt eine vollständig Matrix-freie Projektorganisation eine unrealistische Wunschvorstellung dar. Denn schließlich wird es weiterhin Competence Center, HR-Abteilungen, Einkauf etc. geben, die allen Bereichen zur Verfügung stehen. Eine gute Lösung ist es hierbei, die Organisation nicht als Matrix zu begreifen, sondern als einen Graphen. Die Beziehung von Mitarbeiter zum Einkauf zum Beispiel muss nicht über Matrix-Kanten gehen, sie kann direkt erfolgen.
So könnten die Knoten dieses Graphen aussehen:
- Projektmanagement
- Produktmanagement
- Einkauf
- Personal
- Fachliche Expertenpools (bitte nicht etwa „Humanressourcen-Pools“ – das hört sich entwürdigend an)
Klare Zuständigkeiten, sauber definierte Rollen, unverfälschte Zielsetzungen prägen eine solche Organisation. Da macht es Spaß, etwas zu bewegen, denn es LÄSST sich dann viel bewegen. Projekte können auf Expertenpools zurückgreifen, wenn sie Unterstützung benötigen, und können überflüssig gewordene Experten wieder in entsprechende Expertenpools zurückgeben. Die gefürchtete „Linie“ hat im Projekt wenig zu suchen. Es handelt sich um eine schlagkräftige Projektorganisation, in der Zuständigkeiten eindeutig geklärt sind und die Projektmanager volle Verantwortung für den Projekterfolg tragen, zugleich aber auch die uneingeschränkte Weisungsbefugnis über ihre Projektteams erhalten.
Regelbasierte Unternehmensorganisation
Eine so stark auf Projekte ausgerichtete Organisation mag ängstigen. Was machen die Mitarbeiter, die gerade in keinem Projekt sind? Haben die Projektmanager nicht zu viel Macht? Wie kann eine solche Organisation eine konsistente Strategie umsetzen?
Ich behaupte, ohne es aus Gründen der Platzknappheit weiter zu vertiefen, dass dies besser funktioniert als in einer starken Matrixorganisation. Denn die so oft beschworene „Agilität“ kann am besten in einem Graphen und am schlechtesten in einer Matrix abgebildet werden. Da jedoch eine Graphen-Organisation offenbar sehr viele Freiheitsgrade aufweist, muss es eindeutige Handlungsvorgaben geben, die in jedem Kontext befolgt werden können und müssen.
Es sollte ein Regelsatz erarbeitet werden, der dazu genutzt wird, die Verantwortung von der Unternehmensspitze bis ins kleine Teilprojekt erfolgreich und ohne Mikromanagement sehr effektiv zu delegieren. Ich schrecke vor dem Wort „Prozess“ inzwischen zurück, da es den falschen Eindruck erweckt, es handele sich um einen bürokratischen Ansatz. Der Begriff „Prozess“ erinnert außerdem an traditionelle Fließband-Betriebe, die traditionell starre Matrixorganisationen sein müssen. Eine deutlich bessere Überschrift wäre „Managementsystem“. Dieses Managementsystem muss ergebnisorientierte Handlungsvorschriften und Qualitätssicherungsmaßnahmen definieren, die jeder im Unternehmen (und speziell im Projekt) befolgt. Es ist ein Regelwerk, das keine Matrix benötigt oder bedingt (ihr aber nicht unbedingt widerspricht).
Solch ein regelbasiertes Unternehmen kann sich flexibel und schnell auf neue Projekte konzentrieren. Auch wenn in einer regelbasierten Organisation Projekte naturgemäß scheitern können, so sind sie wenigstens nicht von vornherein dazu verdammt, zu einer Task Force zu degenerieren.
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